Wenn aus Sonnenfängern Sternenfänger werden

Wenn aus Sonnenfängern Sternenfänger werden

Ein Text über Tod und Trauer, über Liebe und Hoffnung. Und ein Sternenfänger für meine Nichte. 

Mit bunten Punkten durch das Jahr: Unser Stickerkalender 2026 Du liest Wenn aus Sonnenfängern Sternenfänger werden 4 Minuten

Am 20. März ist Frühlingsanfang — an diesem Tag im Jahr sind Tages- und Nachtzeit nahezu gleich lang. Dieses Datum konnte ich mir immer schon gut merken, es war der Geburtstag meines Papas. 

Dieses Jahr war es anders — Tag und Nacht waren nicht mehr gleich. Kein Geburtstag mehr in meiner Erinnerung. Ende März verstarb meine Nichte mit nur fünfzehn Jahren, ganz plötzlich und viel zu früh. Ihre letzten Tage verbrachte ich gemeinsam mit ihrer Familie an ihrem Krankenbett: Wir weinten und wir lachten — über schlechte Witze, alte Anekdoten und für sie, wir redeten viel und schwiegen noch länger, ihre Lieblingslieder und der Gesang ihrer Brüder füllten die leeren Gänge der Kinderintensivstation. 

Gut ein halbes Jahr ist seitdem vergangen: Wir feierten das Fest des Lebens — ihres Lebens, nahmen Abschied und fanden irgendwann irgendwie wieder zurück ins Leben. In ein Leben, das so nie geplant war.

Die Sache mit der Trauer ist komplex — sie folgt keinen Regeln, kein Tag ist gleich. Mal erwischt sie dich eiskalt im Supermarkt, am Regal für Gewürzgurken und dann wieder, an anderen Tagen, weht sie wie ein warmer Sommerwind an dir vorbei, spürbar — und auf verrückte Weise irgendwie wohltuend. Sie ist das was bleibt wenn jemand geht, sie schafft Verbindung und Nähe — zwischen dem Hier und dem Dort, zwischen einem Davor und dem Danach und nicht zuletzt zwischen den Menschen, die zurückbleiben.

Dieses Jahr war das bisher schwerste in meinem Leben — obwohl es noch nie eine seichte Kaffeefahrt war. Wahrscheinlich ist es das niemals und für niemanden. Ich wurde mit Ängsten konfrontiert, deren Existenz und Größe ich bisher nur erahnte. Und doch muss ich ganz ehrlich sagen: Das Ding auf meinem Rücken ist ein Kindergartenrucksack im Vergleich zu dem Wanderrucksack, den meine Schwester und ihre Familie seit Ende März mit sich rumschleppen — so ein 140Liter-Ding für eine Reise, die nie wirklich endet. 

Aus meinem anfänglichen Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht, erwuchs schnell der unbedingte Wunsch und Wille, die Dinge "besser zu machen". Nicht das große Ganze, das funktioniert so leider nicht — ein kleines Stück, vielleicht nur ein vorsichtiges Lächeln lang, nur für einen kurzen Moment. 

So entstanden die unterschiedlichsten Ideen, verpackt in kleinen Gesten und Geschenken oder neu entstandenen Bräuchen und Ritualen. Über ein Geschenk möchte ich heute schreiben: Dem Sternenfänger für meine Nichte — wobei: eigentlich ist er vielmehr für uns und erzählt von ihr

Seit Mona irgendwann im letzen Jahr Suncatcher im Shop aufgenommen hat, funkelt und glitzert es ohnehin an jedem Fenster in unserem Zuhause, da war diese Idee naheliegend. Ich muss euch an dieser Stelle vermutlich auch keine Schritt für Schritt-Anleitung mehr teilen, das möchte ich auch nicht. Vielmehr möchte ich mit den Tabuthemen Trauer und Tod brechen und wer weiß, vielleicht auch für euch die Dinge ein kleines bisschen besser machen — mit einer Idee und dem Wissen, dass ihr mit eurer Trauer und eurem Schmerz nicht alleine seid. 

Aus ein paar runden Holzscheiben und dem illustrierten Porträt meiner Nichte, habe ich zuerst einen Anhänger gebastelt, der in seiner Größe und Form wie gemacht für Sonnenfänger ist. Mit bunten Acrylstiften malte ich anschließend einen Blumenkranz um ihr Bild und suchte dann farblich passende Perlen und Garn aus. Dies wurde quasi zum Grund-Bausatz für alle Sternenfänger, die noch folgen sollten. 

An dem Sternenfänger meiner Tochter hängt ein kleines Filly-Pferdchen, dass meiner Nichte schon gehört hat. Unten am Fuß steht noch ihr Name und erinnert so auf ganz besondere Weise an sie.  

Für meine Schwester habe ich einen abgebrochenen Zweig von der Weißtanne verarbeitet, unter der meine Nichte beigesetzt wurde. Dafür habe ich diesen in unterschiedlich lange Stücke gesägt und die einzelnen Teile ein wenig glatt geschliffen. Er legt sich jetzt fast wie ein Rahmen um das Porträt meiner Nichte und bringt ein kleines Stück vom weit entfernten Ruheberg nach Hause. 

Wenn jetzt im Herbst die Sonne durch die Fenster scheint, tanzen nicht nur Lichtstrahlen durch unser Zuhause — es ist, als stünden wir in einem Meer von Sternen. So weit und so dunkel die Unendlichkeit uns auch an manchen Tagen erscheint — so ist da doch auch immer ein Funken Hoffnung. Und Liebe — unendlich viel Liebe.

Für meine Schwester und ihre Familie.

4 Kommentare

Stephanie

Das klingt, bei aller Traurigkeit, ganz wunderbar. Ich wünsche euch weiter einen guten Weg mit eurer Trauer…
🌞🍀❤️

Das klingt, bei aller Traurigkeit, ganz wunderbar. Ich wünsche euch weiter einen guten Weg mit eurer Trauer…
🌞🍀❤️

Steffi

Liebe Steffi, danke für diesen tiefen Einblicke und das zeigen einer sehr verletzlichen Seite, über die meist nur selten gesprochen wird. Ich fühle jedes einzelne Wort so sehr und beim lesen kamen mir sofort die Tränen. Ich finde es so schön, wie du einen kleinen Weg gefunden hast, mit dieser Trauer umzugehen und so deine Nichte für jeden von euch, ganz individuell den Raum mit Licht durchflutet 🙏🏻
Alles Liebe für euch und viel Kraft und Zuversicht weiterhin! ❤️

Liebe Steffi, danke für diesen tiefen Einblicke und das zeigen einer sehr verletzlichen Seite, über die meist nur selten gesprochen wird. Ich fühle jedes einzelne Wort so sehr und beim lesen kamen mir sofort die Tränen. Ich finde es so schön, wie du einen kleinen Weg gefunden hast, mit dieser Trauer umzugehen und so deine Nichte für jeden von euch, ganz individuell den Raum mit Licht durchflutet 🙏🏻
Alles Liebe für euch und viel Kraft und Zuversicht weiterhin! ❤️

Elisabeth.ludwig64@gmx.de Ludwig

Ich denke an dich und die Familie deiner Schwester 🌟

Ich denke an dich und die Familie deiner Schwester 🌟

Rita

Die Worte gingen tief ins 💓
Was immer am Ende bleibt sind die Erinnerungen und die hast du im Wort und Tat gepackt.

Die Worte gingen tief ins 💓
Was immer am Ende bleibt sind die Erinnerungen und die hast du im Wort und Tat gepackt.

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